Leistungskurve im Spitzensport:
Welche Rolle spielt der Menstruationszyklus?
Der weibliche Zyklus gehört immer noch zu den Tabuthemen. Schade, denn es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen: für das eigene Wohlbefinden, für ein besseres Verständnis und ein reflektiertes Miteinander. Besonders im Spitzensport liegt eine grosse Chance, das Tabu zu brechen und offen über das Thema sprechen. In diesem Beitrag erfahren Sie mehr darüber, wie Training und weiblicher Zyklus aufeinander abgestimmt werden können und welche Vorteile daraus resultieren.
Kurz und einfach
Bei Frauen spielt der monatliche Zyklus eine grosse Rolle.
Mélanie Pauli ist eine Expertin in diesem Thema.
Sie erklärt das Training mit dem Zyklus.
Viele Faktoren können die körperliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Im Spitzensport ist es wichtig, diese gut zu kennen und zu wissen, welche Rolle sie spielen. Schliesslich gilt es, zum wichtigen Match oder entscheidenden Wettkampf topfit zu sein und Leistung abzurufen.
Ein Puzzle mit vielen Teilen
Schlaf, Training, Ernährung und Erholungszeit sind nur einige Faktoren, die Einfluss auf die Leistungskurve einer Sportlerin oder eines Sportlers haben. Diese aufeinander abzustimmen, ist bereits eine knifflige Puzzleaufgabe. Schaut man sich diese Faktoren genauer an, stellt sich heraus: Sie bestehen in sich aus vielen weiteren einzelnen Puzzleteilen.
Das Training beispielsweise unterteilt sich meist in Athletiktraining und sportartspezifisches Training. Eine Spielerin der CONCORDIA Handball-Akademie trainiert im Kraftraum, um ihren Körper auf die Belastung vorzubereiten. Beim Training in der Sporthalle geht es darum, am handballerischen Können zu feilen. Im Gegensatz zu einem klassischen Puzzlespiel kann es im Puzzle «Leistungskurve» im Spitzensport nur individuelle, auf die Sportlerinnen und Sportler abgestimmte, Lösungen geben.
Die Rolle des weiblichen Zyklus bei Sportlerinnen
Östrogene
Wie gehen Sportlerinnen damit um? Wie können Training und Menstruationszyklus aufeinander abgestimmt werden? Und warum gehört die Menstruation immer noch zum Tabuthema?
Eine Expertin im Bereich des zyklusorientierten Trainings ist Mélanie Pauli, Bewegungswissenschaftlerin und Sportlehrerin dipl. II sowie Leistungssport -und Athletiktrainerin. Sie gilt als Pionierin und treibt das Wissen rund um dieses Thema seit Jahren voran. Heute arbeitet sie unter anderem als Athletiktrainerin des Schweizerischen Frauen-Fussball-Nationalteams und gibt als Referentin ihre vielfältigen Erfahrungen weiter. Im Interview erzählt sie uns mehr über die Vorteile des zyklusorientierten Trainings.
«Sehr viele. Die Treppe mit dem Ziel Leistungsoptimierung hat eine ganze Reihe von Stufen. Aus meiner Sicht steht die Leistungsoptimierung auf der letzten Stufe. Es ist das Tüpfelchen auf dem «i».
Fangen wir doch zuunterst an, bei dem ersten Schritt. Das Wichtigste ist, dass man überhaupt darüber redet. Macht endlich Schluss mit dem Tabu! Mehr und mehr tut sich etwas in der Hinsicht, doch es erfordert noch mehr Engagement, das Thema Zyklus zu enttabuisieren.
Zuerst muss also darüber geredet und begriffen werden, wie der ganze Organismus funktioniert. Grundsätzlich gilt es, die physiologischen sowie anatomischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu verstehen. Danach können wir der Frage nachgehen: Welche Auswirkungen haben diese Unterschiede in den verschiedenen Sportarten? Die Antwort auf diese Frage muss immer spezifisch im Hinblick auf die ausgeübte Sportart betrachtet werden.»
«Hat man die Stufe der Enttabuisierung erreicht, kommt als nächstes das Monitoring. Das heisst, man möchte Daten tracken. Dies wiederum bedingt, dass diese Daten erfasst und festgehalten werden. Wenn man etwas ändern oder anpassen möchte, wird als erstes eine datenbasierte Grundlage benötigt. Für das Zyklusmonitoring gibt es heutzutage Apps oder, wer offline bevorzugt, führt ein Zyklustagebuch. Dabei geht es vor allem um Fragestellungen wie: «Wann habe ich meinen Zyklus?» oder «Wie lange dauert er?».
Redet man über den Zyklus, denken viele, dass der Zyklus dann ist, wenn die Periode einsetzt, also die Blutung. Doch eigentlich steckt viel mehr dahinter. Die hormonale Fluktuation beginnt am Tag X, wenn die Blutung einsetzt und dauert bis zur nächsten Blutung. Das ist ein Menstruationszyklus, ein frauenspezifischer Zyklus. Wie lange dauert dieser? Und wie lange davon hält meine Blutung an? Ist mein Zyklus regelmässig? In welcher Phase dieses Zyklus spüre ich was?
Es dauert schon drei Monate, um den eigenen Körper besser kennenzulernen und zu verstehen. Und man lernt sich selbst dabei auch gesamthaft besser kennen.
Betrachten wir das Beispiel einer Schlafstörung. Diese kann viele Ursachen haben: Bin ich gestresst? Hatte ich einen Wettkampf und kann deshalb nicht schlafen? Bin ich nervös und kann nicht schlafen, weil ein wichtiges Spiel ansteht? Oder aber kommt diese wirklich immer am selben Punkt innerhalb meiner Zyklusphase?
Im letzteren Fall kann davon ausgegangen werden, dass die Schlafstörung wahrscheinlich nicht mit Stress oder etwas anderem zu tun hat, sondern die Ursache eher in den hormonellen Schwankungen liegt. So bin ich durch mein Monitoring, indem ich meine Daten oder Erkenntnisse tracke, imstande, Probleme auszuschliessen. Weiter bin ich auch in der Lage, Unregelmässigkeiten anzuerkennen und diese anzugehen, bevor sie schlimm werden. So kann man auch kleine Dinge anpassen, damit sich der gesamte Ablauf reguliert.
Im Ergebnis ermöglicht dies mir, jeden Tag intelligenter zu trainieren, da ich mir selbst besser zuhöre und mich selbst besser kenne.»
Amenorrhö
«Auch besteht die Möglichkeit, dass mein Zyklus regelmässig ist, ich jedoch starke PMS habe.
Zuerst habe ich also die Tendenz festgestellt. Dann habe ich die möglichen Probleme ausgeschlossen oder anerkannt. Diese Erkenntnisse sind immens wichtig, denn jetzt können wir dazu eine Strategie entwickeln. Entweder setzt man auf eine individuelle Strategie oder zuerst auf wissenschaftlich basiertes Allgemeinwissen.
Heutzutage haben wir das Glück, dass – zwar zögerlich, aber zunehmend – Studien mit Frauen durchgeführt werden. Dank der Studienerkenntnisse wissen wir mehr und mehr, was in gewissen Phasen des Zyklus abläuft. So können wir Frauen und vor allem ihren Körper unterstützen, damit sie sich besser fühlen. Grundsätzlich geht es um genau diesen Aspekt: Wenn ich mich besser fühle, kann ich auch mehr leisten und besser performen.»
PMS
Darüber reden, Zyklus monitoren, eine Strategie entwickeln – und als nächstes geht es an die Umsetzung?
«Nach dieser Strategie kommt die Leistungsoptimierung. Hier stellt sich die Frage, woran man diese ausrichtet: gesteuert durch den Zyklus oder orientiert am Zyklus?
Ersteres bedeutet in diesem Sinne, dass der eigene Trainingsplan dem Zyklus angepasst wird. Das heisst, der Zyklus bestimmt das Training. Man passt das Training und die Trainingsinhalte auf die hormonelle Fluktuation an.
Zweiteres meint, dass man sich lediglich am weiblichen Zyklus orientiert. Zyklusorientiertes Training wird öfters in Teamsportarten verfolgt. Da können die Trainingsinhalte nicht so individuell geändert werden. Das bedeutet im Teamsport orientiert man sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen und nimmt im Training aber auch Rücksicht auf das Befinden der Spielerinnen.
Beide Trainingsformen bewirken Positives.
Allein durch die Tatsache, dass ich mich besser fühle, wenn meine Strategie für mich stimmt und passt, kann ich vielleicht gewisse Beschwerden lindern und fühle mich deshalb besser im Kopf, mental gestärkt. Jede Sportlerin und jeder Sportler weiss: Wenn ich mich besser fühle, kann ich auch besser performen. Und dies ist für mich letztlich die Leistungsoptimierung.
Bis anhin können wir es jedoch nicht wissenschaftlich quantifizieren. Wir können also nicht sagen, dass sich die Performance um 20 % steigert, wenn man zyklusorientiert trainiert. Aber vielleicht kann uns die Wissenschaft in fünf bis zehn Jahren diese Frage beantworten. Im Moment wissen wir nicht, wozu der weibliche Körper wirklich fähig ist, denn bis dato basieren 96 % von allen Studien, die zu leistungsrelevanten Themen wie Training, Regeneration, Trainingsgestaltung und Ernährung bekannt sind, auf der männlichen Physiologie.»
«Persönlich arbeite ich mit drei Ebenen: Aktivation bzw. Prävention, Regeneration und Nutrition (Ernährung). Innerhalb der unterschiedlichen Ebenen gibt es wiederum verschiedene Strategien oder Massnahmen, die wir anwenden können.
Zum Beispiel kann es darum gehen, PMS oder Tendenzen zu nutzen oder zu probieren, diese zu lindern. Meist denkt man im Zusammenhang mit der hormonellen Fluktuation nämlich an negative Auswirkungen – die Power dieser Schwankungen lässt sich jedoch ebenfalls verwenden, um noch mehr Trainingsreize zu setzen. Das ist das, was wir individualisieren können. Je nachdem in welcher Phase sich eine Sportlerin befindet, reagiert sie auf anders auf Trainingsreize.
Der ganze Inhalt des Trainingsplans kann mit dem Loadmonitoring – wie und wann werden welche Trainingsreize gesetzt – abgestimmt werden. Das heisst man sollte nicht mit Reaktion arbeiten, sondern eher im Vorfeld eine durchdachte Planung erstellen. Gerade das Kraft-, Ausdauer- oder neuromuskuläre Training kann sehr gut individualisiert werden und stärker in Richtung des zyklusgesteuerten Trainings gehen. Dabei muss wieder ein Umdenken in ein phasenabhängiges Training geschehen und nicht, wie gelernt, ein Training mit den verschiedenen Blockmethoden durchgezogen werden. Hinsichtlich des gesamten Trainingsumfangs oder des Trainingsmonitorings handelt es sich eher um ein zyklusorientiertes Training.
So können wir auch in Teamsportarten bereits sehr viel gestalten oder umstellen, was sich jedoch im zeitlichen Aufwand und den notwendigen Ressourcen widerspiegelt. Man muss sich auf die Dinge fokussieren, die wirklich etwas bewirken können und an denen man ansetzen kann.
Es bedingt, dass man sich mit dieser Thematik auseinandersetzt, sich selbst weiterbildet, sich dafür interessiert. Dies gilt vor allem für das Team aus Trainerinnen und Trainern. Der gesamte Stab muss hinter dieser Trainingsmethode stehen und bereit sein für das Umdenken. Das bereits gelernte Fachwissen bildet eine gute Basis, aber in der Arbeit mit Athletinnen muss ebenfalls ein Umdenken stattfinden.»
«Sie müssen gut zuhören können und Vertrauen zu ihren Spielerinnen schaffen. Es geht darum zu zeigen, dass sie Interesse am Thema Zyklus haben und bereit sind, darauf einzugehen und etwas zu machen. Hilfreich ist dabei, Schritt für Schritt zu gehen und nicht direkt alles auf einmal umsetzen zu wollen. Ein möglicher Anfang wäre, zuerst mit der Gruppe über die Thematik zu sprechen. Ein weiterer Schritt kann sein, dass die Spielerinnen beginnen, ihre Daten während des Zyklus zu sammeln und sich so langsam in die Thematik einarbeiten.
Als Trainerin oder Trainer sollte man sich bewusstwerden, dass Spielerinnen eine Rückmeldung ganz unterschiedlich aufnehmen können, je nachdem in welcher Zyklusphase sie sich gerade befinden. Zum Beispiel kann es vorkommen, dass eine Spielerin ein Feedback zu persönlich nimmt, was sich auf den mentalen Aspekt im Profisport auswirkt. Und wie wir wissen, hat die mentale Form wiederum einen Einfluss auf die eigene Performance, im positiven wie auch im negativen Sinn. Wer Vertrauen zwischen sich als Trainerin oder Trainer und den Spielerinnen schaffen will, muss sich bewusst sein, welche Auswirkungen das eigene Handeln hat und in welcher Phase des Zyklus welche Effekte zu erwarten sind.»